BY Toby Ashraf in Profiles | 01 AUG 13

Modell ohne Maler

Die Kamera blickt auf den nackten Rücken einer Frau, die gerade aus der Dusche kommt und jetzt vor dem Spiegel steht. Dann das kratzende Geräusch einer Schere, die Schamhaare schneidet. Die Frau beugt sich leicht nach vorne und obwohl uns der frontale Blick auf sie verwehrt bleibt, könnte dieser flüchtige Moment nicht von größerer Intimität sein.

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BY Toby Ashraf in Profiles | 01 AUG 13

Die Frau, deren Körper und Bewegungen, Gesten und Blicke im Zentrum von Nicolas Wackerbarths neuem Film Halbschatten (2013, Kinostart: 1.8.) stehen, heißt Merle und das Haus, in dem sie sich ihre kleinen Schutzräume und Rückzugsorte erkämpft, ist die Villa ihres Freundes Romuald, dem man in diesem Film nur als Phantom begegnet. In einer Wohngegend, in der sich die Reichen vom Rest der Welt schützen wollen, bricht Merle in ein Gefängnis ein, das sie sich mit Romualds Kindern teilt. Halbschatten erzählt vom Warten einer Frau, die sich gegen ihre feindseligen Umwelt behaupten muss. Viel mehr passiert nicht, doch die Art und Weise, in der dieses Warten hier geschildert wird, ist schlichtweg betörend.

Halbschatten – nach drei Kurzfilmen und Unten Mitte Kinn (2011) Wackerbarths Kinodebüt – spielt an der Mittelmeerküste Frankreichs; die Sonne scheint, doch die Farben sind verwaschen und die Kamerabilder eröffnen keine pittoresken Panoramen, sondern bleiben auf den Körpern der Figuren und in den Räumen des Bürgertums haften. Merles Körper ist der Körper der Schauspielerin Anne Ratte-Polle; an und auf ihm erzählt sich ein Großteil des Films. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie es Regisseur Wackerbarth und Kameramann Reinhold Vorschneider gelingt, ihre präzisen, aber distanzierten Blicke zu einem Frauenporträt zu verdichten, das sich trotz der steten Betonung des Körperlichen jeder Schaulust verwehrt. Vielmehr entwickelt der Film in vermeintlich beiläufigen, dabei aber sehr genauen Beobachtungen eine Art fotografisches Psychogramm, dessen Entschlüsselung das Publikum selbst vornehmen muss.

Wir beobachten Merle beim Gang in die Stadt, beim Lesen am Pool, oder wir sehen, wie sie abends auf dem Boden der Terrasse eingeschlafen ist. So unaufgeregt und zurückgenommen diese Szenen inszeniert sind, entwickelt sich gerade durch ihre leisen, aber ungemein starken Bilder eine Spannung, die den Film bis zum Schluss trägt. Gesten haben unverkennbar Vorrang über Dialog.

Der Sprache wird hier, wie in vielen Filmen der sogenannten „Berliner Schule“, ohnehin misstraut, und obwohl Merle Autorin ist und an einem Roman arbeitet, führen ihre Erklärungen zum Inhalt nicht zu mehr Verständnis. „Die Geschichte? Ach, die ist einfach, das ist nicht das Problem“, sagt sie der Haushälterin, die sie fragt worum es in ihrem Buch eigentlich geht. Stattdessen dominiert das Dingliche, das Materielle. Everyday Objects, Alltagsgegenstände, heißt der Film im Englischen und so sind es vor allem die Dinge – eine Geburtstagstorte, ein blaues Kleid, ein Staubsauger – durch die der Film seine Figuren erzählt.

Das Bildhafte der Figuren und ihrer Lebenswelten wird durch die strenge Kadrierung immer wieder hervorgehoben. Oft wünscht man sich, man könnte den Film anhalten und noch ein bisschen länger auf den Einzelfotografien verweilen. Die Figur der Merle wird im Verlauf immer mehr zum „Modell ohne Maler“, wie Wackerbarth es bezeichnet. Sie performt, sie posiert und sie spielt, ihre Gegenspieler aber – die Frau im Modegeschäft, der Bäcker, die Kinder – wollen sie verändern, nicht akzeptieren. Halbschatten erzählt die Emanzipationsgeschichte einer Muse, die sich langsam und unter den Blicken einer ihr fremden Gesellschaft von ihrem unsichtbaren Meister löst.

Wackerbarth bezeichnet Halbschatten als Film „gegen den schönen Blick“, gewissermaßen ein „Anti-Hockney“, dessen Pool-Bilder immer wieder als mögliche Referenz aufblitzen. Ozons Swimming Pool (2003) kommt ebenfalls in den Sinn – auch hier geht es um eine Romanautorin, die in Frankreich auf sich selbst zurückgeworfen wird. Doch Halbschatten ist kein postmoderner Erotikthriller, sondern vielmehr ein kühles, und dabei umso stärkeres Klassengemälde, das ganz und gar von seiner herausragenden Hauptdarstellerin getragen wird. In einem Szenario des bürgerlichen Repräsentationszwanges werden hier selbst die Körper zum Inventar, und Merles Bemühungen ihren Status als Fremd-Körper zu unterlaufen, münden unweigerlich in der Katastrophe – und gleichzeitig der Befreiung.

Ganz zu Anfang des Films steht Merle vor den Toren der Villa und wartet auf Einlass. Als ihr niemand öffnet, hockt sie sich in Ermangelung einer Toilette in die Büsche vor dem Haus. Ihr privater Moment wird durch ein vorfahrendes Auto gestört. Merles Körper taucht unscharf von unten in den Vordergrund des Bildes. Die Reise beginnt. Ihrem Maler wird sie dabei nicht mehr begegnen.

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