BY Kito Nedo in Frieze | 23 JAN 15

Aktuelle Ausstellung: Mark Dion – Oktogon, Albertinum & Grünes Gewölbe, Dresden

Über seine Zeit an der Dresdner Kunsthochschule hat Gerhard Richter einmal gesagt, dass er dort eine „sehr fundierte Ausbildung“ erfahren habe. In Dresden herrschte damals eine Atmosphäre, in der klassische Malerei geschätzt wurde: „Vielleicht rührt aus dieser Zeit ein gewisses Urvertrauen in die Kunst.“ Tatsächlich thront die altehrwürdige Dresdner Kunstakademie nach wie vor wie eine wuchtige Burg über der Brühlschen Terrasse am Dresdner Elbufer. Erbaut Ende des 19. Jahrhunderts nach Plänen des Leipziger Historismus-Architekten Constantin Lipsius zählt die Institution, die 2013 ihr 250-jähriges Bestehen feierte, zu den ältesten europäischen Kunsthochschulen überhaupt.

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BY Kito Nedo in Frieze | 23 JAN 15

Zum Abschluss der einjährigen, auch von verschiedenen Ausstellungsprojekten begleiteten Feierlichkeiten inszenierte nun Mark Dion ab Oktober 2014 in den Ausstellungsräumen der Hochschule, dem sogenannten Oktogon, ein großangelegtes Ausstellungsprojekt namens Die Akademie der Dinge. Dion durchforstete dafür die Archive und Depots der Hochschule nach Dokumenten und Objekten – etwa künstlerische Studien- und Diplomarbeiten, Totenmasken, Faschings-Plakate, Glasdiapositive aus dem früheren Lehrbetrieb oder alten Röntgenaufnahmen aus dem hauseigenen Labor – , ordnete diese neu und präsentierte sie als „Archäologie der Erziehung“, wie er das nannte. Die Frage: Welches Geröll wird eigentlich mitgeschliffen, wenn die Institutionsgeschichte 250 Jahren umfasst?

Von der von Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel kuratierten Ausstellung geht eine gewisse historische Strenge aus. Erziehung, das wird in diesem ganzen Ausstellungsvorhaben – das von zwei kleinen Satelliten im benachbarten Albertinum und dem Grünen Gewölbe der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden flankiert wird – oft genug als Zurichtung ausbuchstabiert. Neben dem Leitmotiv des Kaputten (beschädigte Gipsmodelle, zerfressene Dias, unvollständige Gerippe, kaputte Knochen) zieht sich eine Geschichte der Gewalt wie ein roter Faden durch die Schau. Um eine zentral installierte, fünf Meter hohe, mehrstöckige Pyramiden-Regalstruktur mit anatomischen Tier- und Menschenfiguren aus der insgesamt rund 500 Objekte umfassenden anatomischen Sammlung der Kunsthochschule wird die grausame fotografische Dokumentation einer Löwensektion des Tieranatomen Hermann Dittrich von 1905 gezeigt. Dem mit Schrauben und Haken fixierten Tierkörper wird in mehreren Schritten das Fell abgezogen. Nach dieser Einführung sieht man die Tierknochen, die fein säuberlich nach Größe sortiert in einem der angrenzenden Ausstellungsräume auf einer langen Tafel präsentiert werden, plötzlich mit anderen Augen.

Ähnlich ändert diese Ausstellung auch den Blick auf Gottfried Bammes. Bammes lehrte zwischen 1960 und 85 in Dresden als Professor für Künstleranatomie und erlangte als Verfasser von Standardwerken wie Die Gestalt des Menschen (1964) auch über die Grenzen der damaligen DDR hinaus Bekanntheit. Bei seiner Recherche stieß Dion auf krude Lehrtafeln Bammes’ aus den 60er Jahren, auf denen nicht nur von sozialistischer Völkerfreundschaft, sondern auch von „Rassemerkmalen“ die Rede ist. Offensichtlich war die Lehre des Anatomen von biologistischen Stereotypen durchsetzt. Auch sonst war die Hochschule kein ideologiefreier Raum – das zeigen einige der 400 Schwarzweißdias, die Dion auf einem mehrere Meter langem Lichttisch arrangiert: Zwischen Botticellis Geburt der Venus (1486), Dürers Feldhase (1502) oder Fritz Cremers Buchenwald-Denkmal (1958) tauchen Lichtbild-Porträts von Walter Ulbricht, Mao Tse-tung oder Nikita Chruschtschow auf. Diese Dias wurden in der Arbeit des Instituts für Marxismus und Leninismus verwendet. Diese ML-Institute wurden ab den frühen 1950er Jahren an jeder Hochschule der DDR installiert und existieren bis zum Ende der DDR 1989/90.

Mit der Hauptausstellung im Oktagon gelingt es Dion all die Geister zu beschwören, die für gewöhnlich in den Archiven und Depots rumoren. Einer der Knochen, die Dion aus dem Magazin holte, wirkt sogar, als würden noch dunkle Fleischfasern an ihm kleben. Umso rätselhafter wirkt die Einbeziehung der beiden Satelliten-Orte Albertinum und Grünes Gewölbe. Während im Albertinum eine Bestandsaufnahme der Darstellungen wilder Tiere geboten wird, erweist sich vor allem der Teil im Grünen Gewölbe als schwächstes Glied der Ausstellungstrilogie. Denn das Einschmuggeln von kommentierenden Fake-Artefakten in altehrwürdige Museumsinstallationen wie Dion es hier betreibt – er hat fünf Objekte für die Renaissance-Schatzkammer des Grünen Gewölbes produziert – kann der präzisen Archivarbeit in der Akademie nichts Wesentliches hinzufügen.

Kito Nedo lives in Berlin where he works as contributing editor for frieze and as freelance journalist for several magazines and newspapers. In 2017, he won the ADKV-Art Cologne Award for Art Criticism.

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