Highlights 2013 – Dominikus Müller

New Age, Spirituelle Musik, Ambient-Sounds: 2013 war, was die Musik anging, die ich hörte, ein Jahr der Immersion. Da waren die entrückten Heimorgel-Gospels von Otis G. Johnson auf dem umwerfend betitelten Album ‚Everything’ – „God is Love“ von 1978 (mit den zum Gebet gefalteten Händen auf dem Cover, die – als bereinigte Illustrator-Wiedergänger – auch auf Dean Blunts The Redeemer auftauchten);

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BY Dominikus Mueller in Critic's Guides | 16 DEC 13

Otis G. Johnson, Come back (1978) auf: God is Love – „Everything“ (1978/2013) da war der afro-amerikanische Zither-Spieler Laraaji mit seiner Rarities-Sammlung Celestial Music 1978 – 2011 und den Re-Issues zweier seiner Platten, die Anfang der 1990er für Brian Enos All-Saints-Label aufgenommen wurden; und da war vor allem die fantastische Compilation I am the Center, auf der, so der Untertitel, Private Issue New Age Music in America 1950–1990 zusammenfasst wurde (auch darauf ist Laraaji vertreten). Überall geht es um eine lange belächelte Reise ins Ich und die Suche nach seinem Jenseits, um absolute Versenkung und, ja, irgendwie auch um Rückzug – nicht zuletzt aus der Sphäre der Öffentlichkeit. Vielen dieser Aufnahmen hängt dann auch der Geruch des Obskur-Privatistischen an.

Laraaji, Unicorns in Paradise (excerpt) , wiederveröffentlicht auf: V.A., I am the Center. Private Issue New Age Music in America 1950 – 1990 (2013) All diese Platten wurden 2013 (wieder-)veröffentlicht. Und auf seltsam paradoxe Art lieferten sie den perfekten Soundtrack für ein Jahr, in dem nach den NSA-Enthüllungen endgültig klar war, in welchem Maße alles Private öffentlich ist, in dem der Spekulative Realismus mit Nachdruck an der Abschaffung der subjektzentrierten Philosophie arbeitete, und in dem mit einer Ausstellung wie The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin die ideologischen Wurzeln des Internets in der kalifornischen Gegenkultur der 1960er Jahre verortet wurden.

Wilburn Burchette, Witch’s Will (1973), wiederveröffentlicht auf: V.A., I am the Center. Private Issue New Age Music in America 1950 – 1990 (2013) Und so geht es bei diesen Platten auch weniger um eine verkitschte Sehnsucht nach Ganzheit, sondern eher um ein Aufspüren historischer Vorläufer von etwas, das unter den Vorzeichen des Internet-Zeitalters längst auf andere Art und Weise virulent geworden ist: der Ich-Entäußerung im diffusen großen Ganzen. Auf der Suche nach dem Cloud-Gefühl sozusagen; dabei immer einem rückwärts gehauchten Weltgeist nach, der es möglich macht, in der Retrospektive eine ganz andere, verschlungene Geschichte entgrenzter Subjektivität zu konstruieren, entlang der Grenze von Innen und Außen, Privat und Öffentlich, „Ich“ und „Wir“. Was in obskuren Musikkellern, Hinterzimmern und Ashrams begonnen hat, ist längst auf Facebook und Google angekommen. Früher war die Suche nach dem Ich eine Frage der Spiritualität. Heute ist es eine der Daten.

Laraaji, Vision Song Suite (1984), auf: Celestial Music 1978 – 2011 (2013)

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