Steirischer Herbst
Verschiedene Orte
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seit 26. September
Muss man sich Sorgen machen um den steirischen herbst, jenes seit 1968 stattfindende Mehrspartenfestival in Graz, besonders um dessen Kunstsegment? Mal abgesehen davon, dass im Zuge der Globalisierung Festivals dieser Größenordnung und peripheren Verortung generell an Bedeutung verlieren – internationales Publikum suchte man während der Eröffnungstage vergebens –, gibt es einige Symptome, die dafür sprechen: Budgetkürzungen, eine erstaunlich klein geratene Hauptausstellung. Und auch die Tatsache, dass das jedes Jahr gewählte Leitmotiv offensichtlich immer weniger bindend ist für die unter dem Dach des steirischen herbstes firmierenden Ausstellungen in anderen Grazer Kunstinstitutionen, wirft Fragen nach der Tragfähigkeit einer derartigen Konzeption auf. Dennoch: Auch in diesem Herbst gibt es einige sehenswerte Ausstellungen.
Heuer soll es dem Festival unter dem Leitmotiv „I prefer not to … share“ um die Möglichkeiten einer „Politik des Teilens“ gehen. Kaum eine der Ausstellungen aber lässt sich ernsthaft auf dieses Thema ein. So ging es sowohl in der Ausstellung The Militant Image bei Camera Austria wie bei Richard Mosse – The Enclave im Universalmuseum Joanneum eher um die Relevanz „militanter Bilder“. Die Präsentation bei Camera Austria fragt mit Arbeiten von u. a. Harun Farocki, Sharon Hayes oder Paola Yacoub nach der Rolle „militanter Bilder“ im Kontext des medialem Overkills: Welches Bild hat in unserer reizüberfluteten Medienlandschaft noch Wirkung, wie sieht diese Wirkung aus und wie wären Alternativen denkbar? Der mit einer Infrarot-Kamera aufgenommene Film von Mosse im Joanneum gibt dazu eine mögliche Antwort: In verführerisch schön anmutenden Farbnuancen werden teilweise extrem grausame Szenen aus dem seit dem Ende der 1990er Jahre tobenden Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo gezeigt. Schönheit wird von Mosse genutzt, um die Brutalität des Krieges zu verfremden und aus dem Strudel der alltäglichen News zu ziehen, damit die Grausamkeit wieder an den Pranger gestellt werden kann.
Auch in der Ausstellung Ordinary Freaks bei KM– Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien steht das als Leitmotiv ausgerufene Teilen nicht im Mittelpunkt, stattdessen das Crossover von Rockmusik und Kunst sowie das Prinzip der „Coolness“. Malerei von Kim Gordon und Raymond Pettibon, das Video Work No. 600 (2006) von Martin Creed sowie u. a. der Film Quiet Lives (1982) von Eugene Doyen, der Tracey Emin und Billy Childish in ihrer damaligen gemeinsamen Wohnung zeigt, sind von Schorsch Kamerun und Christian Egger in dieser hübsch anzuschauenden, aber dank ihrer Fragestellung letztlich doch reichlich nostalgischen Show zusammengestellt worden. Dem Leitmotiv des Teilens im politisch-ökonomischen Sinne am nächsten kommt am ehesten noch die Ausstellung Territorien im Projektraum < rotor >. Hier wird die Besitznahme von Lebensraum problematisiert, etwa mit der Fotoserie Public Home (seit 2009), in der Gaby Steiner die Lebensverhältnisse eines Mannes dokumentiert, der in New York City seit Jahren unter freiem Himmel wohnt – in einem „Haus“ nämlich, in dem weder Wände noch ein Dach seine Privatsphäre in irgendeiner Form schützen oder begrenzen.
Die spannendste Ausstellung aber ist die überraschend kleine Eigenproduktion des steirischen herbstes namens Forms of Distancing. Repräsentative Politik und die Politik der Repräsentation im Festivalzentrum. Kuratiert von Luigi Fassi und Stefano Collicelli Cagol zeigt Form of Distancing 14 künstlerische Positionen, die Repräsentation sowohl als künstlerische Form wie als politischen Modus verhandeln. Da wäre etwa Peter Friedls Serie Rehousing (2012–14). Mit Modellen des letzten Wohnsitzes von Ho Chi Minh oder einer Hütte vom Berliner Oranienplatz, die bis vor kurzem Flüchtlingen als Unterkunft diente, wird hier versucht, mit Hilfe gegenständlicher Rekonstruktionen politische Narrationen zu entfalten. Gleichzeitig aber lösen Friedls Modelle diesen Anspruch bewusst nicht ein, die Konzentration auf das von jedweden Kontext isolierte „Haus“ verhindert konsequent die Entwicklung tatsächlich sinnstiftender Geschichten.
Frances Cape hat für seine Installation Utopian Benches (2011–14) Holzbänke in den Raum gestellt. Es handelt sich bei ihnen um Nachbildungen von Entwürfen US-amerikanischer religiöser Gemeinden aus dem 18. Jahrhundert, wie z. B. der Shaker. Diese Bänke repräsentieren in ihrem schlichten Design Werte wie Bescheidenheit, Strenge und Reduktion auf das Wesentliche, Werte die für diese Sekten charakteristisch sind und heutigen konsumorientierten Lebensentwürfen diametral entgegenstehen. Gleichzeitig stehen die Bänke im Ausstellungsraum den Besuchern als benutzbare Objekte zur Verfügung. Mit klugen Arbeiten wie diesen macht der steirische herbst dann doch ein Stück weit Sinn.