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Issue 225

Wie kam Polens Kunstwelt zum Rechtsruck?

Wie sieht die Zukunft der zeitgenössischen Kunst im Lande aus, wenn fast jedes Museum in den Klauen der verächtlichen Parteiloyalisten von „Recht und Gerechtigkeit“ ist?

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BY Adam Mazur in Features , Thematic Essays | 24 FEB 22

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Die aktuelle Lage der polnischen Kunstwelt die sich gegenwärtig im Würgegriff einer rechtsgerichteten Übernahme fast aller öffentlichen Institutionen befindet wird durch Jacek AdamasArbeit Artforum von 2011 anschaulich illustriert. Kürzlich erworben vom Warschauer Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art (UCCCA), einer der bedeutendsten öffentlichen Sammlungen Polens, steht die vor über einem Jahrzehnt erstmalig gezeigte Arbeit nun erneut im Zentrum einer hitzigen Debatte. Artforum besteht aus einem aufgefalteten Exemplar des gleichnamigen US-amerikanischen Kunstmagazins vom Februar 2011, von dem sowohl die Titel- als auch die Rückseite zu sehen sind. Auf dem Cover prangt ein Foto des goldenen Flugzeugs, mit dem der Bildhauer Paweł Althamer und sein Team 2009 im Rahmen von Common Taskeinem Projekt zur Feier des 20. Jahrestags des Sturzes des Kommunismus in Polen nach Brüssel reisten. Die Rückseite des Magazins zeigt das Wrack des polnischen Präsidentenflugzeugs, bei dessen Absturz in der Nähe von Smolensk im Jahr 2010 insgesamt 96 Menschen ums Leben kamen, darunter der damalige Präsident Lech Kaczyfiski. Den polnischen Nationalist*innen ist der Absturz ein Symbol für den Niedergang Polens zu einem handlungsunfähigen, verkommenen Staat, der Brüssel untergeordnet und der Willkür Deutschlands und Russlands ausgeliefert ist. Die radikale Rechte glaubt, dass es sich bei dem Absturz um ein vom russischen Präsidenten Wladimir Putin orchestriertes Attentat handelt.

Für Adamas und Piotr Bernatowicz, den ultrakonservativen Direktor des UCCCA, der die Arbeit erworben hat, stellt die Gegenüberstellung der beiden Flugzeuge eine Allegorie auf die Naivität der liberalen Eliten dar, zu denen er auch die zeitgenössische Kunstszene Polens zählt. Die Tatsache, dass Adamas und Althamer seit ihrer Zeit an der Akademie der Bildenden Künste in Warschau, wo sie unter dem legendären Grzegorz Kowalski studierten, eine enge Freundschaft verbindet, verleiht der Situation zusätzliche Brisanz. Im Gegensatz zu Althamer, dessen Werk offen und kosmopolitisch ist, werden Adamas’ unbändiger Patriotismus und Konservatismus von rechten Kritiker*innen für relevant befunden – dank der Unterstützung durch die von der Partei Recht und Gerechtigkeit geführten Regierung gilt er als aufsteigender Stern der rechtsgerichteten Kunst, die in Polen derzeit en vogue ist. Artforum markiert das Ende der Freundschaft zwischen den beiden Künstlern und ist exemplarisch für die neue populistische Kunst, die die Welt in Gut und Böse teilt und auf einem Bekenntnis entweder zu der nationalistischen Regierung oder der pro-europäischen Oppositionspartei Platforma Obywatelska (dt. Bürgerplattform) beharrt.

Als die Partei Recht und Gerechtigkeit 2015 an die Macht kam, stand die polnische Kunstwelt unter Schock. Alle fürchteten das „ungarische Szenario“, bei dem nach den Wahlen im Jahr 2010 führende Institutionen in Budapest, wie das Műcsarnok und das Ludwig Museum, in die Hände der Populist*innen fielen. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán schaffte im selben Jahr das Kulturministerium ab und ersetzte es durch das Ministerium für Humanressourcen. In Polen hingegen wurde kein einziger Leiter und keine einzige Leiterin einer staatlichen Institution entlassen oder ersetzt – zumindest nicht sofort. Die Museen passten ihre Programme schnell an die Vorgaben der Kulturplattform von Recht und Gerechtigkeit an und unterbanden „schwierige“ Themen, von Feminismus und Umweltfragen bis hin zu LGBTQ+-Fragen. Das Kunst-Establishment warf seine progressiven Ideale kurzerhand über Bord, um institutionelle Strukturen und Arbeitsplätze zu sichern. Diese Überlebensstrategie ist größtenteils gescheitert. Während der zweiten Amtszeit der populistischen Regierung wechselte das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe die Museumsdirektor*innen nach und nach aus, kaum dass ihr jeweiliger Vertrag ausgelaufen war.

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Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art (UCCCA) in Warschau, 2017. Foto: © Adrian Grycuk

Zuletzt geschah dies Anfang Dezember 2021, als der mittelmäßige Maler Janusz Janowski ein rechtsextremer Vertreter des katholischen Fundamentalismus Hanna Wróblewska als Direktor der Nationalen Kunstgalerie Zachęta ablöste. Auch Jaroslaw Suchan, der langjährige Direktor des Muzeum Sztuki w Łodzi, verlor vor kurzem seinen Posten und ist nun als Interimsdirektor tätig. Offene Briefe, zurückhaltende Proteste und in den sozialen Medien verbreitete Memes sind die bisher einzigen Reaktionen einer Kunstwelt, in der die Institutionen nach und nach ihre Unabhängigkeit an die populistische Gegenreaktion verlieren.

Viele kommunale Galerien vor allem in Regionen, in denen die Opposition die Mehrheit in der Kommunalverwaltung stellt verfolgten auf eigene Faust weiterhin progressive Programme, die nicht auf opportunistischem Kalkül beruhten. Doch selbst die Museen in Białystok, Lublin, Poznań, Sopot und Wrocław haben sowohl an Schlagkraft eingebüßt als auch öffentliche Förderungen verloren, während ihre Leiter*innen nach und nach durch weniger radikaleersetzt werden. Während den lokalen Behörden aufgrund des Rückgangs der Tourismuszahlen und der neuen Spargesetze in Zeiten der Pandemie ohnehin weniger Mittel zur Verfügung stehen, stellt die Regierung zusätzlich sicher, dass keinerlei Fördermittel in die Hände von unbotmäßigen Institutionen gelangen.

Der politische Aufstieg der extremen Rechten hat sich jedoch nicht nur auf den Diskurs und die Dynamik der polnischen Kunstwelt ausgewirkt, sondern bietet auch die Möglichkeit zu einer eingehenderen Analyse der populistischen Kulturpolitik. Bis vor kurzem galten die Galerien der Polnischen Institute ein Netzwerk von 25 Kulturzentren in verschiedenen Hauptstädten der Welt als Flaggschiffe der polnischen Kultur. Jetzt beschränkt sich ihr Programm auf stumpfe Volkskunstausstellungen, naive religiöse Malerei und Briefmarkensammlungen zum Thema Papst Johannes Paul II. Im Gegensatz dazu ist die Kunst, die in den großen, nun vom neuen, rechtsgerichteten Establishment geführten Museen des Landes gezeigt wird, alles andere als langweilig oder naiv. Vielmehr beteiligen sie sich eifrig am Kulturkampf, indem sie eine Strategie der Skandalisierung verfolgen, um an Sichtbarkeit zu gewinnen. Bevor er 2019 an die Spitze des UCCCA berufen wurde, leitete Bernatowicz die Galeria Arsenal in Poznań, eine städtische Institution. Als ich ihn 2014 für das SZUM-Magazin interviewte, erklärte er seine Entschlossenheit, technisch herausragende und metaphysisch profunde Werke auszustellen, die die üblichen Exemplare der zeitgenössischen Kunst in den Schatten stellen würden.

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Protest gegen die Politisierung der polnischen Kunstinstitutionen durch das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe, Bunkier Sztuki Gallery of Contemporary Art, Krakow, 2021. Foto: © Dawid Zieliński

Doch das offensichtliche Desinteresse der polnischen Öffentlichkeit an derartigen Ausstellungen veranlasste Bernatowicz dazu, Künstler*innen wie Adamas und Wojciech Korkuć auszustellen, der für seine rassistischen, homophoben und misogynen Postermotive berüchtigt ist. Die nachfolgenden Ausstellungen im UCCCA erlangten aufgrund der Welle der Empörung in der liberalen Presse und den sozialen Medien sofort traurige Berühmtheit. Bernatowicz hat sich von einem bloßen Provokateur, der das liberale Establishment von der Seitenlinie aus attackierte, zu einem Märtyrer für die Sache der von der politischen Rechten verteidigten Meinungsfreiheit gemausert. Nachdem er 2017 die Galeria Arsenal verlassen hatte, übernahm er den Posten des Chefredakteurs eines rechtsgerichteten Radiosenders in Poznań und wartete geduldig auf eine Ernennung durch den Kultusminister. Nach seinem Antritt beim UCCCA gestattete er den dortigen Kurator*innen, ihr Programm zu Ende zu führen, obwohl dieses auch Projekte von queeren Künstler*innen umfasste, darunter Karol Radziszewskis Retrospektive The Power of Secrets von 2019. Im August 202l eröffnete Bernatowicz Political Art, seine erste große Ausstellung, die er gemeinsam mit Jon Eirik Lundberg kuratierte. Während der Vernissage kam es zu Protesten von antifaschistischen und LGBTQ+-Gruppen, als sich der offen rassistische dänische Künstler Uwe Max Jensen nackt und mit schwarzer Theaterschminke beschmiert auf einer Konföderiertenflagge im Innenhof der Institution wälzte und schrie: „I can’t breathe“.

Bernatowicz und Lundberg führen den „Erfolg“ der Ausstellung auf die Empörung des liberalen und linken Establishments über Jensens Performance und weitere in der Ausstellung gezeigte Arbeiten zurück. In Political Art wurde bewusst Kunst gezeigt, an der jede und jeder Anstoß nehmen musste. In einem offenen Brief an Bernatowicz schrieben einige Vertreter*innen jüdischer Organisationen in Polen: „In Polen, einem Land, in dem sechs Millionen Bürger*innen der Nazipolitik zum Opfer fielen, verletzen die Aktivitäten von Künstler*innen wie Dan Park die Gefühle einer jeden Polin und eines jedes Polen.“ Wie jedoch der Kritiker Stach Szabłowski in einem viralen Facebook-Post anmerkte, ist der Verweis auf verletzte Gefühle eine zweifelhafte Strategie, um gegen populistische Kunst zu protestieren, zumal der Brief noch vor der Vernissage verfasst wurde und keiner der Unterzeichner*innen die Ausstellung zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte, was die Stichhaltigkeit ihrer Einwände untergräbt. In der öffentlich-rechtlichen Fernsehshow Cheap Bastards argumentierte Bernatowicz, dass die Frage nach den Grenzen der Freiheit und der Freiheit der Kunst mit voller Wucht nach Polen zurückgekehrt sei und „die Verlogenheit“ der Kunstwelt offen lege.

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Joanna Mytkowska vor dem Museum für Moderne Kunst in Warschau. Courtesy: © Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie; Foto: Marta Ejsmont

Was auf den ersten Blick als inkohärente kuratorische Strategie erscheinen mag, entpuppt sich als hocheffizienter Mechanismus, um Verwirrung zu stiften und so das Ausüben von Kritik an Political Art zu erschweren. Tatsächlich entspricht die extreme Unentschlossenheit der Zusammenstellung der in der Ausstellung vertretenen Arbeiten dem politischen Diskurs der rechtsgerichteten Regierung. Schließlich argumentiert das Kultusministerium, es bestünde kein Unterschied zwischen seiner Förderung nationalistischer Vereinigungen, ultrakatholischer Publikationen und Alt-Right-Aktivist*innen und der Förderung linker und elitärer Kultur durch die früheren liberalen Regierungen.

Eines von Bernatowiczs wohl perfidesten Manövern bestand darin, in der einen Hälfte der Räumlichkeiten des UCCCA die Ausstellung Political Art zu zeigen und in der anderen Hälfte die Ausstellung Eveyday Forms of Resistance. Diese von Ika Sienkiewicz-Nowacka kuratierte Schau befasst sich mit dem Leben der Palästinenser*innen unter israelischer Besatzung. Zu den teilnehmenden Künstler*innen zählen das DAAR-Kollektiv, Forensic Architecture und Mahommad Saleh und sozial engagierte polnische Künstler*innen wie Joanna Rajkowska und Jaśmina Wójcik. Bernatowicz stellt dem chauvinistischen, drastischen und gewalttätigen Narrativ seiner eigenen Ausstellung das Elend der vom israelischen Staatsapparat unterdrückten Palästinenser*innen gegenüber. Was können die beteiligten Künstler*innen Bernatowiczs Strategie der Verschmelzung von Extremen entgegensetzen? Ihre Werke zurückziehen? So tun, als ob nichts wäre? Schließlich wurde ein kurzes Statement am Eingang zu Everyday Forms of Resistance platziert, in dem sich die Künstler*innen von Bernatowiczs und Lundbergs Projekt distanzieren:

Wir möchten klarstellen, dass wir mit dieser Ausstellung nichts zu tun haben und die Verachtung, die Aggression und den Hass ablehnen, die sie propagiert. Ihre räumliche Nähe, ganz gleich, ob es sich um ein zynisches Spiel der Kurator*innen oder eine zufällige Gegenüberstellung handelt, ist geschmacklos. [...]

Everyday Forms of Resistance ist eine Ausstellung über friedliche Protestformen gegen Gewalt, über Widerstand auf der Grundlage einer Ethik der Solidarität, der Kooperation und des kritischen Selbstverständnisses. Ihre moralische Basis ist der Respekt gegenüber anderen.

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Das Museum für Moderne Kunst in Warschau. Courtesy: © Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie; Foto: Marta Ejsmont

Letztendlich jedoch scheitert Bernatowicz in seinem Versuch, Rassismus, Homophobie, Islamophobie und Hassreden durch deren Präsentation neben legitimen Kunstwerken reinzuwaschen, da wahre Anteilnahme und so konservativ es auch klingen mag künstlerische Qualität unschwer zu erkennen sind. Provokative Inhalte wie die von Bernatowicz lassen sich am wirkungsvollsten ganz unverhohlen vermitteln, und so ist es nicht verwunderlich, dass Political Art größtenteils aus drastischen Karikaturen, Cartoons und Postern besteht. Indem sie auf solche einfachen Formeln verzichtet, vermittelt Everyday Forms of Resistance eine differenziertere Sichtweise, die wenn auch ungewollt wie eine direkte Antwort auf die propagandistische Kunst von Bernatowicz und Lundberg anmutet. Das Narrativ der Ausstellung, das davon handelt, wie die Palästinenser*innen mit den Belastungen der Besatzung umgehen, scheint hier den Weg zu weisen, indem es einerseits eine mögliche Form des Widerstands aufzeigt, andererseits aber auch einen Dialog mit den fremden und doch vertrauten populistischen Haltungen eingeht, die in der Kunst durchaus vorkommen. Letztlich mögen rechte Ressentiments sich Gehör verschaffen, aber sie werden stets von den handwerklichen Fähigkeiten und der ethischen Überlegenheit von Everyday Forms of Resistance übertroffen einer Ausstellung, die die Welt um uns herum beschreibt.

Während Institutionen wie das UCCCA in den letzten fünf Jahren eine populistische Agenda verfolgt haben, hat sich die polnische zeitgenössische Kunstszene allmählich in Projekträume, Künstler*innenateliers, boomende Galerien, Veranstaltungen wie das Warsaw Gallery Weekend und auf die Straße verlagert. Regierungskritische Proteste für unabhängige Gerichte, Frauenrechte und Geflüchtete oder gegen Faschismus, ‚Polexit‘ und Entwaldung sind zu einer Bühne für Performance-Aktivitäten von bisher ungekanntem Ausmaß geworden. Sie werden vom Archiwum Protestów Publicznych (dt. Archiv der öffentlichen Proteste) dokumentiert und durch die wenigen verbliebenen unabhängigen öffentlichen Institutionen unterstützt. An der Spitze dieser Institutionen steht das Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie, dessen Direktorin Joanna Mytkowska beschlossen hat, öffentlich Stellung zur aktuellen Situation zu beziehen und im vergangenen November die Ausstellung Who Will Write the History of Tears: Artists on Women's Rights zu kuratieren. Mytkowska ist sich natürlich bewusst, dass sie keine Zeit zu verlieren hat: ihr Vertrag läuft im Dezember aus.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch in der frieze Ausgabe 225 mit der Überschrift ‘Out of Time’.

Erste Abbilding: Protest gegen die Politisierung der polnischen Kunstinstitutionen durch das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe, Bunkier Sztuki Gallery of Contemporary Art, Krakow, 2021. Foto: © Dawid Zieliński

Adam Mazur is a critic, editor and professor at the Magdalena Abakanowicz University of the Arts, Poznań, Poland.

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