BY Astrid Kaminski in Profiles | 03 SEP 15

Verkomplizierte Einfachheit – Rosemary Butchers "Scan" im HAU, Berlin

Rotlicht wird auf sich bewegende Haut geworfen. In Nahaufnahme, gestaucht oder gedehnt, sieht sie aus wie Ein- und Ausstülpungen innerer Organe. Die Härchen mancher Körperstellen flimmern dabei wie eine Invasion von Wimperntierchen. Dazu Schmatzen, Raunzen, Gurgeln, das enervierend unter die Haut geht. Es ist jedoch kein biologisches Mikroskoptheater, das die Kamera von Vong Phaophanit und der Sound von Cathy Lane der Choreografie von Rosemary Butchers Arbeit Scan hinzufügen, sondern ein werkreflexiver Epilog.

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BY Astrid Kaminski in Profiles | 03 SEP 15

Scan wurde erstmals 1999 aufgeführt und ist nun – koproduziert vom internationalen Festival Tanz im August im Rahmen der Festivalretrospektive zu Butcher mit dem Titel Memory in the Present Tense – im Berliner HAU zu sehen. Zum ersten Mal überhaupt ist Butchers Werk in Berlin zu sehen. Und vor allem im Bezug auf die Begegnung zwischen Tanz und Videoinstallation ist es eine Entdeckung. Die Kamera, atmosphärisch oftmals ein Tanzkiller, gehört bei ihr zur choreografischen Handschrift.

Rosemary Butcher kommt aus der Tradition des New Yorker Postmodern dance. Neben einem Interesse an nicht-virtuoser sowie nicht-emotionalisierter Bewegung und einem an Minimal Art geschulten Purismus bestimmt diese Prägung vor allem den Zugang zum inszenierten Raum: Einerseits braucht sie für ihren Tanz nicht unbedingt ein Theater, andererseits definiert sie das Setting der Performance am liebsten in Zusammenarbeit mit anderen Zeit- und RaumkünstlerInnen. Nach Zusammenarbeiten mit verschiedenen bildenden KünstlerInnen und ArchitektInnen wie Zaha Hadid, Anya Gallaccio oder Dieter Pietsch hat sie in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend videoästhetische Zugriffe gewählt – vom Einsatz der Kamera als choreografisches drittes Auge, das von einer unabhängigen Position aus Strukturelemente wie Sichtachsen in den Raum einfügt, bis hin zum Einsatz des Videos als alleiniges Medium der Choreografie.

Der diesbezügliche Durchbruch kam 1995 mit After The Last Sky, das in Zusammenarbeit mit David Jackson entstanden ist. Auf Grundlage des gleichnamigen Buchs von Edward Said entfremdeten Butcher und Jackson den Tänzer von sich selbst anhand räumlich- und zeitlich verzerrter Spiegelachsen: eine deutliche Referenz an den Ballettspiegel als Mittel zu Selbstverortung durch Selbstkontrolle. Kulturanthropologie ist Tanzanthropologie.

In Scan erprobt Butcher dann das Verhältnis von primär installativen und primär performativen Formaten. Die ersten zwei Teile der Arbeit, die von vier Zuschauerseiten aus eingesehen werden kann, sind eine Live-Performance in ständiger 90-Grad-Verschiebung. Zu verstärkten Atem- und Blasgeräuschen vermessen die TänzerInnen sich gegenseitig, ein scharfkantiges Lichtraster (ebenfalls von Vong Phaophanit) intensiviert ihre rastlos systematisch wirkenden Bewegungen. Repetitives Zirkeln, Schwingen, Beugen, Heben, Fallen (lassen) wechseln sich ab.

Bewegungsästhetisch ist das klar sortiert und ausgeführt, hat aber auch einen Hang zur Simplizität, was vor allem daran liegt, dass der konzeptuelle Rahmen von Vermessung zu Festlegung, Einordnung und Schablonendenken etwas zu aufdringlich ist. In dieser Beziehung funktioniert der rein strukturelle Minimalismus der Wiederaufführung von Lucinda Childs’, John Adams’ und Frank O. Gehrys Available Light, die das Festival eröffnete, besser und sind neo-minimalistischen Arbeiten wie jene von Schubot & Gradinger, Ian Kaler oder Jan Martens in ihrem Bewegungsvokabular interessanter.

Im dritten Teil, in dem der nun leere Tanzteppich als Screen dient, folgt dann aber der eigentlich interessante „Scan“: In einem Video fährt die Kamera zunächst mit Rotlicht an der Außenhaut der TänzerInnen entlang, entfernt sich dann so weit, dass teilweise durch die Perspektive gedehnte oder durch Bodenreflektionen gespiegelte Körperversatzstücke sichtbar werden. Wie beim Zurückspulen verhaspelt sich das Soundscape, bis es durch ein dokumentarisches Tonprotokoll ersetzt wird, durch das nicht zuletzt die Kamera verortbar wird: Wir sind im Tanzstudio, scheinbar während der Proben. Eine Kette mit Dreiecksanhänger taucht auf, Butchers Erkennungsmerkmal. Dann eine realistische Einstellung auf ihr gealtertes Gesicht. Ihre im Arbeitsprozess durch den Raum wabernden Anweisungen klingen wie ferne Lautsprecheransagen aus den anderen Etagen eines Flughafens.

Was hier vorgeführt wird, wird erst allmählich deutlich: Es geht nicht um Verfertigungsanalysen einer Choreografie sondern um ihre metafiktionalen Möglichkeiten mit den Mitteln des Videos. Die Ästhetisierung der Studioaufnahmen lässt die dokumentarischen Elemente zur pseudodokumentarischen Facette werden. Und damit ist plötzlich auch nicht mehr klar, wo das Stück aufhört und wo es anfängt – bei der Präsentation, bei den (nachgestellten) Proben? Der Screen wird zur Membran der Choreografie. Und die Kamera zu einer Art osmotischem Auge.

Astrid Kaminski writes (on) performance, poetry and social politics for a number of newspapers and magazines. She is based in Berlin. 

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